MZ-Artikel 01.12.2001 |
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Das schlafende Schmuckstück
Die ehemalige Landesschule Zur Pforte bietet ideale Voraussetzungen für verschiedenste Nutzer. Räume und Inventar oft in gutem Zustand. Rundgang wie eine Reise in die Vergangenheit Von Jürgen Beil
MEINERZHAGEN · Auf dem Tisch steht eine Flasche Zitronenlimonade. Sie ist halb voll. Doch ein Schluck von dem giftig-gelben Gebräu könnte fatale Folgen haben. Denn: Die Mindesthaltbarkeit lief am 18. August 1996 ab. Er ist wie eine Reise in die Vergangenheit, der Rundgang durch die ehemalige Landesschule Zur Pforte auf der Freiheit. Überall lassen sich noch stumme Zeugen finden, die in dem 1997 "aufgegebenen" Komplex vom einstigem Leben hinter den dicken Mauern berichten. Hier steht ein Stuhl auf dem Flur, die Gummihandschuhe der Putzfrau hängen noch über seiner Lehne - so als ob die Reinigungskraft nur zum Kaffeetrinken gegangen wäre. Dort drüben liegt eine grüne Gießkanne auf der Ziegelsteinmauer, neben trockenen Kakteen, die von dicken Spinnweben umgarnt sind. Und auf dem Tisch eines Schüler-Zimmers ein achtlos beiseite gelegtes Englisch-Heft. "Leider ungenügend" wurde Till in seinem letzten Test vor langen Jahren darin bescheinigt, vom mitfühlenden Lehrer in dicken roten Lettern. Bereits 1995 stellte die Kirche den Internatsbetrieb in der Landesschule ein. Bis 1997 nutzte das Evangelische Gymnasium einige Räume weiter. Dann folgte der Dornröschenschlaf, der noch immer andauert. Doch damit könnte bald Schluss sein, denn die Stadt Meinerzhagen interessiert sich für den Bau mit einer Gesamtfläche von 13 346 Quadratmetern Nutzfläche. Noch ist die Übernahme des Gebäudes, dessen Grundsteinlegung 1966 erfolgte, aber alles andere als perfekt. Und wie sollte es anders sein: Alles ist eine Frage des Geldes. Neben dem Kaufpreis wäre schließlich auch eine Renovierung erforderlich, auch wenn die Bausubstanz nach ersten Recherchen erstaunlich gut erhalten ist. Mehrere Einrichtungen, die allesamt mit Jugend und Ausbildung zu tun haben, könnten hier problemlos untergebracht werden. Musikschule, Jugendzentrum, Sonderschule, Arbeitsverwaltung mit Aus- und Fortbildung - alle würden hier beste Voraussetzungen finden. Die Räume jedenfalls sind vielfach ideal - wie beispielsweise der Parkett-getäfelte Speisesaal oder der riesige Musikraum. Inklusive Klavier, das verstaubt aber funktionstüchtig auf dem Flur steht. Der ganze Komplex beherbergte knapp drei Jahrzehnte lang eine Eliteschule - und ist entsprechend ausgestattet. Da gibt es beispielsweise vier komplett geflieste Waschräume, drei davon mit jeweils 56 Becken und Wasserhähnen, dazu Duschkabinen, Sauna- und Bäderabteilung. Im Untergeschoss wurde ein eigener "Gemüse-Putzraum" eingebaut. Fleischsägen, Kühlräume und eine voll funktionsfähige Großküche mit fast kompletter Ausstattung sind vorhanden. Ebenso wie die Werkstatt, mit hochwertigen Utensilien, vom Schweißgerät bis zur Drehbank. 208 Schüler - für so viele Bewohner war in dem Internat Platz. 160 seien allerdings maximal hier untergebracht gewesen, weiß Stadtdezernent Hans-Erich Schmidt, der "Schlüsselverwalter" der Einrichtung. Die hatten allerdings alles was sie brauchten, wenn auch von übertriebenem Luxus keine Rede sein konnte. Zur körperlichen Ertüchtigung beispielsweise wurde eine eigene Turnhalle unterhalten. Und wenn die Gymnasiasten ein Buch oder eine Zeitschrift in die Hand nehmen wollten - und wenn es das Time-Magazin sein sollte - kein Problem. Alles war in der mehr als gut sortierten Bücherei zu finden. Die ist übrigens noch komplett bestückt erhalten. Die Magazine berichten allerdings von Präsidenten wie Carter oder Reagan - eher ein Fall für das Haus der Geschichte in Bonn. Auch für andere Arten der Zerstreuung mussten die Einwohner einst nicht vor die Tür treten. Im so genannten "Bunker" wurde zu heißen Disco-Rhythmen getanzt, Foto-Labor oder Kaminzimmer boten Zerstreuung. In erster Linie ging es jedoch um die Ausbildung der jungen Internatsschüler und deshalb sind Unterrichts- und Fachräume beinahe die Prunkstücke und erreichen fast Universitäts-Standard - wenn auch ein paar Nummern kleiner. Experimente mit (sicherlich schwach) strahlendem Material waren möglich, ein spezieller Panzerschrank schützte vor Radioaktivität. Und auch im Chemieraum oder Sprachlabor mangelte es an nichts. Alte Tonbänder und Mischpulte zeugen noch heute davon. Ungeachtet der Kosten, die noch nicht einmal genau ermittelt sind, scheint sich in Meinerzhagen eine Meinung durchzusetzen: "Es wäre eine Schande, das alles plattzumachen." Jetzt sind Konzepte gefragt. © [01.12.2001] Märkischer Zeitungsverlag GmbH & Co. KG Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlags |