MZ-Artikel 29.05.2004 |
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Ein Lastwagen bringt Hoffnung für die Kinder von Tschernobyl
Inventar der ehemaligen Landesschule auf der Freiheit wird mit einem 40-Tonner in ein weißrussisches Kinder- und Erholungsheim transportiert. Möglicher Abriss "unfassbar" Von Jürgen Beil MEINERZHAGEN · Wjatscheslaw Nakuschinskij heißt der Direktor des weißrussischen Kinder- und Erholungsheimes "Nadeshda" - was ins deutsche übersetzt "Hoffnung" bedeutet. Ein Name, der gut gewählt ist. Denn Hoffnung ist genau das, was die jungen Bewohner der Einrichtung nicht verlieren dürfen. Wer bei "Nadeshda" für einen dreiwöchigen Urlaub Aufnahme findet, hat ein hartes Schicksal zu ertragen. In dem Heim nahe der Stadt Wilejka werden Kinder betreut, die unter den Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl leiden. "Manchmal haben wir ganze Gruppen im Haus, die an der Schilddrüse operiert wurden und sich bei uns erholen", berichtet die junge Dolmetscherin Olga Radina. Da weder die Stadt noch die Eltern der kranken Kinder wohlhabend sind, ist Hilfe natürlich herzlich willkommen. Doch Wunder sind selten - aber es gibt sie. Ein für die Mannschaft des Kinderheimes kaum fassbares Glück ist die Aufgabe der ehemaligen Evangelischen Landesschule auf der Freiheit. Denn die "Schätze", die in dem Bau ungenutzt herumliegen, stehen bei "Nadeshda" ganz oben auf der Wunschliste. Zwischen dem Heim und der ehemaligen Landesschule in Meinerzhagen liegen etwa 1700 Kilometer, doch der Kontakt kam tatsächlich zu Stande. Und das kam so: Die Evangelische Landeskirche von Westfalen, Eigentümerin der Ex-Landesschule, hat sich der Versöhnungsarbeit auch mit Weißrussland verschrieben. Die kirchliche Gruppe der "Männerarbeit" schließlich engagierte sich konkret für strahlengeschädigte "Tschernobyl-Kinder" und half ab 1993 bei der Renovierung eines Heimes, genannt "Nadeshda". Es liegt 70 Kilometer nordwestlich von Minsk und wurde von freiwilligen "Männerhilfe-Mitarbeitern" - meist pensionierten Facharbeitern - auf Vordermann gebracht. Genau hier stehen demnächst die Möbel aus der Landesschule, hier kommen Elektrogeräte und Küchenutensilien zum Einsatz. Vor zwei Wochen war Direktor Wjatscheslaw Nakuschinskij zum ersten Mal in Meinerzhagen. Was er hier zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache. Dass dem großen Landesschul-Komplex der Abriss droht - für ihn kaum zu verstehen. "Am liebsten hätte er die ganzen Gebäude hochgehoben, aufgeladen und nach Weißrussland transportiert. Als neue Heimat für die Nadeshda-Kinder", erinnerte sich Dolmetscherin Olga Radina gestern. Doch das war natürlich nicht möglich. Aber immerhin: Ein Sattelzug konnte gemietet werden, zusammen mit Olga Radina machten sich Ingenieur Viktor Kaschuro, Walodja Selenko und Fahrer Viktor Boiko auf die lange Reise an die Volme. Dort begannen sie gestern mit dem Verladen des Landesschul-Inventars. Verschmäht wurde nichts. Ob Armaturen, 70er-Jahre-Polstermöbel, Küchengeschirr, Türbeschläge, Herde, Werkzeug oder Warmhalteschränke - alles wurde sorgfältig verpackt, von Olga Radina in eine Zollliste eingetragen und auf der riesigen Ladefläche verstaut. Insgesamt 20 Tonnen, so schätzte Lastwagenfahrer Boiko, werden schließlich Richtung "Nadeshda" transportiert. "Es wäre uns nicht möglich gewesen, auch nur einen Teil dieser Sachen zu kaufen", freute sich auch Olga Radina über den unverhofften Segen. Und noch jemand rieb sich die Hände: Rolf Janßen, zuständig für die Verwaltung von Gymnasium und Ex-Landesschule in Meinerzhagen: "Es ist wunderbar, dass die Sachen dort Verwendung finden." Mit der Hilfe aus Meinerzhagen wird es in dem weißrussischen Heim künftig leichter fallen, die selbst gesteckten Ziele zu realisieren: Psychische Hilfe bei der Bewältigung von Traumata und medizinische Stärkung der Selbstheilungskräfte - das sind nur zwei Aufgaben, die das Team um Direktor Wjatscheslaw Nakuschinskij umsetzt. Dass dabei allein der Wille Berge versetzen kann, beweist die auch in Meinerzhagen engagierte "Männerhilfe". Die packte nicht nur auf der Freiheit mit an, sie vollbrachte noch ein weiteres kleines Wunder zum Wohle von "Nadeshda". Im Juli 2001 konnte die Männerarbeit der Westfälischen Kirche mit Spenden in Norddeutschland einen Fischkutter kaufen. Der wurde tatsächlich nach Weißrussland transportiert, wo er jetzt zum Fischfang eingesetzt wird. Die Zusammenarbeit zwischen Nadeshda-Mitarbeitern und den Freunden der evangelischen Männerhilfe klappt ausgezeichnet, trotz unterschiedlicher Mentalität und Sprachbarriere. Friedrich König aus Holzwickede beispielsweise packte gestern in der Landesschule mit an. Der pensionierte Elektromeister war seit 1993 schon 24 Mal im Kinderheim nahe Minsk im Einsatz. Trotz des "Kuddelmuddels" in der Elektro-Anlage des Heimes und der vielen ehrenamtlich geleisteten Arbeitsstunden, die nötig waren um die Verkabelung zu erneuern, hat König Spaß daran, den kranken Kindern zu helfen: "Das ist ein tolles Gefühl. Man sieht, wie etwas wächst." © [29.05.2004] Märkischer Zeitungsverlag GmbH & Co. KG Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlags |