MZ-Artikel 12.02.2005 |
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Thema des Tages: Einstiges Internatsgymnasium Schulpforta
verschwindet vollständig vom Erdboden
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Stählernes Ungetüm zermalmt die Mauern Beim Abriss fallen rund 16 000 Festkubikmeter Abraum mit einem Gewicht von fast 30 000 Tonnen an. Spezialfirmen aus Bochum und Marl besiegeln das traurige Schicksal der einstmals stolzen Traditionsschule. Ab Ende April soll über dem Gelände grüner Rasen wachsen Von Horst vom Hofe MEINERZHAGEN · Wie das Maul eines gefräßigen Sauriers erfasst der stählerne Greifer des riesigen Baggers ein großes Stück Mauerwerk. Unter dem Druck von fast 300 Tonnen zerbröseln Steine, Beton und selbst Stahl regelrecht. Auf diese Weise dauert es nur einige Minuten, bis wieder ein Gebäudeteil der ehemaligen Landesschule in einen Berg voller Schutt verwandelt ist. "Das ist unser Bulle", erklärt Baustellenleiter Dietmar Suhr nicht ohne Stolz beim Anblick dieses größten von insgesamt drei hier
Der Abriss des einstigen Internatsgymnasiums in landeskirchlicher Trägerschaft, der Evangelischen Landesschule zur Pforte, ist bereits weit fortgeschritten. Schon ab Ende April soll auf dem Hügel oberhalb des Inselweges - als Ortslage mit dem stolzen Namen "Auf der Freiheit" bezeichnet - wieder grüner Rasen zu wachsen beginnen. Dort, wo sich bis vor kurzem noch ein architektonisch reizvoller, vielgliedriger Baukörper aus Ziegelstein und Beton und viel Glasfassaden erstreckte. Nach den Plänen der renommierten Architekten Sauerzapf und Nathow aus Solingen errichtet, sollte in dem 1968 fertig gestellten Schulgebäude angeknüpft werden an die Tradition der einstigen mitteldeutschen Fürstenschulen. Berühmte Schüler der ursprünglichen Schulpforta bei Naumburg an der Saale waren unter anderem Geistesgrößen wie Klopstock, Fichte, Ranke, Nietzsche. Das Modell von einem altsprachlichen Internatsgymnasium in Meinerzhagen scheiterte aber nach durchaus hoffnungsvollem Start letztlich. 1995 kam wegen zu geringer Auslastung das endgültige Aus. Intensive und langwierige Bemühungen, Schul- und Internatsgebäude einer neuen Nutzung zuzuführen, scheiterten. Der Schlussakt ist nun eingeleitet. Schon im Oktober begannen die Vorbereitungen für den Komplettabriss aller Gebäude. Übrig bleiben von dem einstmals imposanten und stadtbildprägenden Gebäude lediglich der Sportplatz und das ehemalige Rektoratsgebäude, das inzwischen verkauft wurde. Im Frühjahr 1965 erfolgte auf dem ehemaligen Acker- und Weidegelände unterhalb des Inselwäldchens die Grundsteinlegung. Im Mai 1968 wurde der Unterricht aufgenommen. Was für einen Kostenaufwand der auch für die damalige Zeit stolzen Summe von deutlich mehr als 10 Millionen Mark in knapp drei Jahren errichtet wurde, verschwindet jetzt binnen weniger Monate vollständig vom Erdboden. Der Märkische Kreis als zuständige Behörde erteilte erst Mitte Januar die endgültige Abrissgenehmigung. "Es ist ein ziemlich aufwändiges Verfahren," erläutert Jürgen Kannegießer von der Firma Kat-Plan in Münster, einem Fachbüro für Schadstoffsanierung und Ingenieurplanung. Gemeinsam mit dem Dortmunder Ingenieur und Architekten Urban Thelen und Dipl.-Ing. Robert Wetzig vom Baureferat der Landeskirche in Bielefeld musste zunächst eine gründliche Bestandsaufnahme gemacht werden. Alle noch verfügbaren Pläne, technischen Unterlagen und andere Bauakten wurden dazu ausgewertet. Außerdem gab es eingehende Untersuchungen im Gebäude selbst. Man kann diesen Vorgang auch als Katalogisieren bezeichnen, wobei alle Gebäudebestandteile und deren Inhaltsstoffe erfasst werden. "Wir müssen der Behörde im Detail nachweisen, dass vorhandene Schadstoffe entsprechend sorgsam ausgebaut, separiert und einer gesonderten Beseitigung auf speziellen Schadstoffdeponien zugeführt werden", erläutert Architekt Urban Thelen. Er listet auf, was da konkret bei der Landesschule in Meinerzhagen so alles entdeckt wurde: Zum Beispiel Asbest und weitere künstliche Mineralfasern, die als Dämmungsmaterial eingesetzt wurden, PCB-haltiges Fugenmaterial, Teerstoffe und etliches mehr. Die an der Baustelle eingesetzten Arbeiter müssen solche Stoffe entfernen, bevor dann die großen Abbruchbagger anrücken.
Da ist es kein Wunder, dass allein auf den Bereich Schadstoffbeseitigung etwa ein Drittel der Kosten für den Abriss entfallen. Wie hoch die Gesamtkosten am Ende sein werden, steht noch nicht exakt fest. Die Landeskirche hat auf Grund der vorliegenden Kalkulation zunächst 1,3 Millionen Euro bereitstellen müssen. Entrümpelt - sprich vom letzten noch vorhandenen Inventar befreit - wurde die Schule beginnend im Herbst letzten Jahres. Zunehmend wurde in dieser Phase Vandalismus ein großes Problem. Damit es nicht zu bösen Verletzungen kommen konnte, wurden in dieser Phase schließlich auch alle Fensterscheiben entfernt. "Das hatte den Vorteil, dass sich nicht weiter auch noch ungebetene Übernachtungsgäste im Gebäude aufhielten", berichtet Rolf Janßen. Der jetzige Verwaltungsleiter des Evangelischen Gymnasiums war von 1985 bis zum Ende an der Landesschule tätig, begleitet jetzt als Verbindungsmann vor Ort für die Landeskirche sozusagen den Schlussakt. Wehmut beim Anblick der Trümmerberge? "Nein!" antwortet Janßen spontan und begründet das so: "Nach dem Aus für die Pforte hat es so viele intensive Bemühungen gegeben, um vielleicht doch noch eine neue Nutzung zu finden. Doch auch weil das Gebäude eben so ganz spezifisch auf die Bedürfnisse des einstigen Internatsgymnasiums zugeschnitten war, war das ein leider zum Misserfolg verdammtes Unterfangen. Und jetzt ist es eben gut, dass nach dem bereits eingetretenen Verfall der Gebäude endlich ein Schlussstrich gezogen wird." Im Schnitt zwischen 20 und 25 Bauarbeiter sind auf dem rund 120 000 Quadratmeter großen Areal mit dem Abriss beschäftigt. Sie kommen von zwei Spezialunternehmen: der Firma Christian Bähr aus Bochum und der für den Bereich Schadstoffe als Subunternehmer eingesetzten Firma Obst aus Marl. Die Internatsgebäude I und II sind schon abgerissen. Als letzter Gebäudeteile wird in wenigen Wochen der zur Birkeshöhstraße liegende Teil der einstigen Agora und zentralen Eingangsbereichs fallen. Zurzeit dient dieser noch als Abschirmung vor Lärm und Staub für das angrenzende Wohngebiet. Die befürchteten Beeinträchtigungen halten sich indes erkennbar in Grenzen. Selbst das Zermahlen der Berge von Beton und Steinen verursacht dank der hier eingesetzten besonders Geräusch gedämpften Maschinen relativ geringen Lärm. Auch der Lkw-Verkehr konnte stark eingeschränkt werden. Weil ein großer Teil des zermahlenen Steinmaterials vor Ort verbleibt, zum Verfüllen der Baugruben verwendet wird, konnten von den behördlich
"Vor Überraschungen ist man bei einer solch großen Maßnahme nicht gefeit", berichtet der verantwortliche Abrissplaner Jürgen Kannegießer. "Vor allem haben wir nicht mit einer solchen Menge an Eisen und Stahl gerechnet". Fast hat es den Anschein, als hätte man Mitte der 60er Jahre tatsächlich "für die Ewigkeit" bauen wollen. "Die Krönung ist ein Kellerraum, der offenkundig seinerzeit als Bunker für den Kriegs- und Spannungsfall gedacht war. Es herrschte ja noch Kalter Krieg. Und damit es die bösen Russen nicht mitkriegen sollten, hatte man diese Anlage auch nirgendwo in den Plänen besonders erwähnt", so der Ingenieur. Das Mauerwerk dieser Anlage, die übrigens von Schülern und Lehrern als "schalldichter Probenraum für Musiker und Disco" genutzt wurde, wie sich Rolf Janßen erinnert, besteht fast ausnahmslos aus Eisen. Weil er mit so massiv mit Stahl armiert war, trotzte auch der Schornstein der zentralen Heizanlage einer massiven Sprengladung (wir berichteten). Doch das konnte seinen Fall nur verzögern, nicht aufhalten. |
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300 Tonnen Druck kann der stählerne Greifer des größten Abbruchbaggers ausüben. Binnen kürzester Zeit kann damit ein massives Bauwerk in einen Schuttberg verwandelt werden. | |||
Eine große Bitte haben die am Abriss beteiligten Firmen übrigens an die Anwohner: Obwohl das komplette Gelände abgesperrt ist, gibt es immer noch viele Fußgänger, die sozusagen auf ihrem alten "Wegerecht" pochend die Baustelle passieren. Weil das aber mit Gefahren verbunden ist, sollte man das aus eigenem Interesse unterlassen und sich noch etwas gedulden. Spätestens ab Mai wird alles so weit hergerichtet sein, dass der Hügel seinem neuen Verwendungszweck zugeführt werden kann: Als Grün- und Naherholungszone mit Spazierwegen - und später dann zu einem Teil auch als Neubaugebiet. |
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